Platonakademie(187), Ethik Spezial: Warum unterschiedliche Ethiken brandgefährlich sind / Kommunismus immer instabil / (Titel gekürzt am 25.2.15)

Platon-Akademie, 8. Februar 2015

Die Welt leidet zunehmend großflächig unter dem Druck ihres Ethik-Chaos. Dieses entsteht, wenn verschiedene Völker mangels überzeugender Basis behaupten, allein die absolut verbindliche Ethik zu besitzen. Ihre verschiedenen Religionsauslegungen führen wegen der Übervölkerung zu Einzelterror oder gar zu einem Flächenbrand.

Die bunte Menge von Ethiken ist alles andere als harmlos, aus dem einfachen Grund weil Ethik Verhaltensvorschrift im Rahmen der Werte ist. Damit wird jede Kritik an einer herrschenden Ethik zum Angriff auf die Werte. Die unendlichen Greueltaten der Religionen, der Dreißigjährige Krieg und alle sonstigen Zusammenstöße zwischen den Ethik-Varianten füllen Bände einer peinlichen Überlieferung (darüber auch in PM(180)). Das Christentum soll aus über 40 000 Sekten bestehen, hat demnach über 40 000 Werte- d.h. Ethik-Varianten. Es mangelt ihm also an einer überzeugenden Basis, und ähnliches gilt für alle Religionen, die ja in vorwissenschaftlicher Zeit zu Welterklärung und Weltordnung führen sollten – damals ein hoch gestecktes Ziel, das aber ohne jede Ahnung vom Wesen Mensch angestrebt wurde. Man postulierte dies und jenes, z.B. dass Monogamie die Natur des Menschen sei. Unsere Zeit der sich unwillkürlich ausbreitenden Erotik bestätigt das nicht. Der Vatikan vermochte Mehrfachbeziehungen wie Seitensprünge nicht auszurotten und kümmert sich neuerdings bewusst mehr um die Nächstenliebe als um die Erotik.

Wegen der beliebigen Religionen wurden Versuche unternommen, eine besser begründete Ethik zu erfinden, die nur erlernt werden müsse. Vor allem ging es um diejenige, die, wie schon die mosaische, der Bevölkerungsverdichtung in den Städten gerecht wird. Das Musterbeispiel der Versuche liefert der Kommunismus. Jedes kommunistische System knickte wieder ein, weil gleiches Recht für alle, Nächstenliebe und ökonomische Gleichschaltung – das sind unabdingbare ethische Forderungen in jeder Massengesellschaft – nicht ohne Widerwillen gelernt werden können. Sie werfen das grundsätzliche Problem des Individualismus auf (vgl. PM(63)) bzw. des erweiterten Individualismus, der Privatsphäre.

Da er in der Geschichte unnachgiebig auftrat, kann er nur dem Wesen Mensch angeboren sein. Der Kommunismus kapitulierte mit seiner Ideologie vor dem ererbten „Kodex“. Wir landen hier bei der Ethologie, die Konrad Lorenz begründete und die heute u.a. von F. Wuketits vertreten wird (WAS IST BIOSOZIOLOGIE? (2002)): Der Mensch lebte seit Jahrmillionen in Kleingruppen, in denen jeder jeden persönlich kannte. Unbekannte gab es nicht, sie gehörten fern lebenden Gruppen an. Auf Unbekannte Rücksicht nehmen, ist daher nicht das, was der heutige Mensch in der Massengesellschaft einsehen will. Rücksichtnahme in der Masse bedarf vielmehr des Strafgesetzes, mit anderen Worten des Zwanges. (Wie man allerdings sieht, bleibt in einer übervölkerten Landschaft auch dann immer noch die Gefahr der Nachbarschaftsstreitigkeiten. Diese können freilich keinen Flächenbrand auslösen und sind daher nicht allgemeingefährlich. Nachbarstreit gehört zum angeborenen Kodex und ähnelt eher dem nicht tödlichen Rivalenkampf zwischen Wölfen. Ob er überhaupt ausbrechen kann, hängt allein von der Bevölkerungsdichte ab.)

Man sagt zwar gern noch „der Westen ist christlich“. Auch das Christentum scheitert aber, vergleichbar mit dem Kommunismus, in Wahrheit an seiner Lehre von der gleichschaltenden Nächstenliebe. Das Scheitern dieser Lehre wiegt noch schwerer als das Nachgeben-Müssen gegenüber der Erotik. Wenn Autofahrer z.B., wie erst kürzlich geschehen, sich um Unfallopfer nicht kümmern, die auf der Autobahn herum liegen, und einfach im Bogen ausweichen und weiterfahren, dann belegt das die Schwierigkeiten der Liebe zum Unbekannten. Statt der von innen automatisch motivierenden Anlagen bedarf es hier des mühevollen Denkens. In den Millionenstaaten der Termiten und auch der Ameisen kümmern sich dagegen die Individuen automatisch um jedes Mitglied des Staates. Es gibt keinen Unterschied zwischen Bekannt und Unbekannt. Sie haben aber auch in hundert Millionen Jahren die dafür erforderlichen Gene entwickelt! Sie repräsentieren im Grunde den idealen Staat Platons, der im Falle Mensch Ideologie bleiben muss (vgl. PM(18)).

Kommunismus und Religion stehen mit Lernproblemen keineswegs alleine da. Dem Hasen ist das Ballspielen nicht beizubringen, dem Hund nicht das Einzelgängertum, der Katze nicht die Nächstenliebe zu Mäusen. Beim Menschen wechselte die Übervorteilung und Ausbeutung anderer ganz im Sinne seiner Veranlagung bis heute nur immer die Form, generell abschaffen ließen sie sich nicht.

Biologische Veranlagung und Bioethik stellen für die Politik allerdings ein Problem dar. Argumente wie „da alle Mitglieder der Menschheit genetisch so weit verwandt sind, dass sie sich kreuzen können, muss genetische Verwandtschaft auch für die Verhaltensvorschriften angenommen werden, die sie von sich aus hat“ sind in der Politik höchst unbeliebt; denn damit stellt man sich den eingeprägten Religionsvarianten in den Weg. Politik favorisiert, um die Biosphäre „verbessern“ zu dürfen, den Anthropozentrismus, weil er nach ethischer Unabhängigkeit von der „primitiven“ Natur strebt. Selbst Biologen stellen gern ihre Kritik am anthropozentrischen Denken zurück. Institute verhalten sich wie nichtwissend gegenüber Lorenz & Nchf. Und zwar scheint man – was ja nicht sein kann – nur nebenbei von der unvorstellbar großen Komplexität gehört zu haben, die durch die ökologische Vernetzung noch um Zehnerpotenzen größer wird und ökonomische Eingriffe nicht verträgt. (Man kann die Komplexität eines Organismus näherungsweise als Potenz K berechnen; mehr in PM(55) und (99)). Nur Darwin wusste tatsächlich noch kaum etwas davon, er kannte nur ein paar Variable. Er durfte die Evolution noch auf rein zufällig günstig ausfallende Mutationen zurückführen.

Bei Vielzellern kann jede blinde Mutation, die einem willkürlichen Eingriff entspricht, praktisch nur Störungen zuwege bringen. Vielzeller vermögen aber nun aufgrund der enormen Komplexität ihre Evolution statt durch Zufall problemlos intelligent zu lenken – eine Intelligenz, die jeder vom Immunsystem kennt – und übertrumpfen in ihrem Bereich alles menschliche Denken spielend. Selbstverständlich wird durch diese Erkenntnis der Wurm, der seine Evolution selbst intelligent lenkt, ungleich intelligenter eingestuft als der Mensch, und das geht nun wirklich zu weit angesichts der Religion, die im Menschen den Geist Gottes erblickt. In dem Konflikt geschieht folgendes: Weil bei Viren und auch Einzellern manche zufällige Mutation gerade noch erfolgreich sein kann, überträgt man Darwins Zufallsthese erleichtert auf alle Stufen der Vielzeller und Biozönosen, obwohl sie dort ganz und gar undenkbar wird. Man drückt so den Evolutionsmechanismus und vor allem das Ansehen des Wurmes auf das ausreichend tiefe Niveau der Zufälle herab, so dass kein menschlicher Eingriff die Natur stärker zu gefährden scheint als sie sich bereits selbst gefährdet. Der Mensch muss unbedingt jene ethische Erlaubnis zum Eingreifen erhalten, die er lt. Genesis haben soll. Aus triftigem Grund ist es damit hochwahrscheinlich, dass der Planet versteppen wird (PM(185)).
_____________________

Portrait der Platonakademie
Die 1995 erneuerte Platon-Akademie (PA) versteht sich als Fortsetzung und Abschluss der antiken. Sie versucht, im naturwissenschaftlich widerspruchsfreien Konsens die richtige Antwort auf die von Platon gestellten Fragen nach der Herkunft der Naturgesetze und nach der besten Gesellschaftsform zu finden. Sie strebt keinen juristischen Status an (Verein etc.). Die PA wurde 529 von der Kirche wegen weltanschaulicher Konkurrenz verboten.
Kontakt: Anton Franz Rüdiger Brück, geb. 1938, Staatsangehörigkeit Deutsch. Humanistisches Gymnasium. Hochschulstudien: Physik, Mathematik, Philosophie, Pädagogik. Ausgeübter Beruf: Bis 2000 Lehrer im Staatsdienst. Zuschriften bitte per Post an: s. Impressum in platonakademie.de


Original-Inhalt von Platon-Akademie und übermittelt von Platon-Akademie